Regungslos vorm Bildschirm

Soziale Netzwerke: Wie Gestik und Mimik auf Dauer verloren gehen können

(djd). Chatten, Posten, Liken – vor allem junge Menschen verbringen immer mehr Zeit in sozialen Netzwerken wie etwa Facebook und pflegen dort ihre Freundschaften. Die digitale Welt hat die zwischenmenschliche Kommunikation in den letzten Jahren dramatisch verändert. Die Gefahr: Die Kontakte werden oberflächlicher und es geht vieles von dem verloren, was für wirkliche Nähe erforderlich ist.

Die „Dosis“ macht’s

Stefan Verra ist einer der gefragtesten Körpersprache-Experten im deutschsprachigen Raum. Nach seiner Meinung geht etwas Entscheidendes verloren, wenn Menschen nur noch am PC und in sozialen Netzwerken interagieren und kommunizieren: Nämlich Mimik, Gestik, Stimme, Geruch und vor allem Körpersprache. „Man kann das alles quasi verlernen, schlimmstenfalls verlernt man damit sogar, Nähe zu anderen Menschen aufzubauen“, gibt Verra zu bedenken.

Das bedeute natürlich keineswegs, dass man auf die Nutzung sozialer Netzwerke verzichten sollte, entscheidend sei vielmehr die „Dosis“ der Nutzung. Verra zufolge haben aktive Facebook-Nutzer mit vielen Kontakten sogar nachweislich auch im „echten“ Leben viele Freunde, bei ihnen sei die soziale Interaktion im Gleichgewicht. Verra selbst gibt seine Körpersprache-Tipps schließlich auch auf seiner Facebook-Seite sowie unter http://www.stefanverra.com.

Warum ist „echte“ soziale Interaktion so wichtig?

Warum aber ist soziale Interaktion im richtigen Leben so wichtig? Stefan Verra: „Wir reagieren vor allem auf unseresgleichen, das hat beispielsweise der Hirnforscher Giacomo Rizzolati belegt, als er die sogenannten Spiegelneuronen im Hirn entdeckte.“ Vor allem in der Jugend sei dieses Reagieren auf andere und das Abschauen von anderen bedeutsam, da das Gehirn dann entscheidend wachse und sich ausbilde. Verra verdeutlicht dies am Beispiel der Italiener. „Sie besitzen sicherlich kein Gen, dass sie so viel mit den Händen ‚reden‘ lässt. Aber sie haben es einfach von Kind auf immer bei anderen gesehen und dann einfach übernommen.“ Je mehr körpersprachliche Signale man in der Umwelt sehe, desto selbstverständlicher könne man damit im Alltag umgehen und sie „entschlüsseln“.

Mimische Signale „entschlüsseln“

Reglose Gesichter beispielsweise wirken im echten Leben unattraktiv, weil sie unserem Hirn zu wenig Informationen geben. Stefan Verra: „Untersuchungen belegen tatsächlich, dass viele Kinder heute schon nicht mehr so gut imstande sind, mimische Signale zu entschlüsseln, also etwa an der Mimik Ärger, Erstaunen oder Freude zu erkennen.“

Das Fazit des Körpersprache-Experten: Wer nur noch in den PC schaut und nicht mehr in Gesichter, läuft zum einen Gefahr, einen Teil seiner mimischen und gestischen Ausdrucksmöglichkeiten zu verlieren. Und zum anderen, so Verra, verliere er die Fähigkeit, die Mimik und Gestik anderer Menschen zu entschlüsseln.

Spiegelneurone und soziales Verhalten

Der italienische Hirnforscher Giacomo Rizzolatti beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Erforschung von Nervenzellen, die Handlungen steuern und daher „Handlungsneurone“ heißen. Rizzolatti wies experimentell nach, dass gewisse Nervenzellen beim Beobachten die gleichen Reaktionen zeigen wie beim selbstständigen Handeln. Diese Nervenzellen nannte er „Spiegelneurone“. Ihre Erforschung gilt als wichtiger Baustein zur Erforschung der Frage, warum der Mensch empfindungsfähig ist, sich sozial verhält und wie die menschliche Moral entstanden ist.

Wer nur noch in den PC schaut und nicht mehr in Gesichter, kann auf Dauer einen Teil seiner mimischen und gestischen Ausdrucksmöglichkeiten verlieren. Foto: djd/Stefan Verra/thx
Für Körpersprache-Experte Stefan Verra sind eine ausdrucksstarke Mimik und Gestik unverzichtbar. Foto: djd/Stefan Verra
Stefan Verra ist einer der gefragtesten Körpersprache-Experten im deutschsprachigen Raum. Der Erfolgsautor ist Dozent an der Steinbeis-Hochschule Berlin, Lektor an der Fachhochschule Wien und Lektor an der Sir Karl Popper Schule für Hochbegabte. Foto: djd/Stefan Verra